Die Radioretter
Initiative für Kultur im Rundfunk
                                                                                                                                                               

Offener Brief

Sehr ge­ehr­te Frau In­ten­dan­tin,

die In­for­ma­tio­nen aus den WDR 3-Re­dak­tio­nen und auch die Be­rich­te in der Pre­sse über wei­te­re Strei­chun­gen im Pro­gramm ma­chen uns kei­ne Sor­gen, denn Sie wer­den der­art un­durch­dach­te Pläne si­cher nicht zu­las­sen und mit ei­nem Fe­der­strich ver­hin­dern: die Strei­chung von täglich 32 Mi­nuten po­li­ti­scher Be­richt­er­stat­tung im „Jour­nal“, das Ver­schwin­den ei­nes wöchent­li­chen Fea­ture-Plat­zes für Mu­sik und Li­te­ra­tur, die Ver­wand­lung des werk­täg­li­chen ak­tu­el­len Kul­tur­ma­ga­zins „Re­so­nan­zen“ in ein Wie­der­ho­lungs­pro­gramm und das Aus für das sonn­täg­li­che Aus­lands­ma­ga­zin „Re­so­nan­zen welt­weit“ – um nur ei­ni­ge der als Or­ga­ni­sa­tions­re­form an­ge­kün­dig­ten „Klei­nig­kei­ten“ zu nen­nen.

Wir hof­fen, dass Sie sich als In­ten­dan­tin dem öf­fent­lich-recht­li­chen Pro­gramm­auf­trag ver­pflich­tet fühlen und sich zu­dem den Blick für die Ver­hält­nis­mä­ßig­keit der Mit­tel be­wahrt ha­ben: Die Ein­spa­run­gen im WDR 3-Ra­dio wären ja nur ein Klacks im Ver­gleich zu den Un­sum­men, die für den Pro­fi-Fuß­ball im Fern­se­hen aus­ge­ge­ben wer­den. Oder die der ge­büh­ren­fi­nan­zier­te Selbst­fin­dungs­pro­zess teu­rer Mo­de­ra­to­ren im Vor­abend­pro­gramm kos­tet. Um nur zwei Bei­spie­le zu nen­nen.

Schon die in den letz­ten zehn Jah­ren vor­ge­nom­me­nen Ver­än­de­run­gen im WDR-Kul­tur­ra­dio be­deu­ten ei­ne gro­ße Schwä­chung: Ge­stri­chen, ge­kürzt, ab­ge­baut oder aus­ge­la­gert wur­den das po­li­ti­sche Feuil­le­ton des „Kri­ti­schen Ta­ge­buchs“, die li­te­ra­ri­schen Le­sun­gen, Re­zen­sio­nen, Ori­gi­nal­ton­mit­schnit­te in „Do­ku­men­te und De­bat­ten“, Ge­sprächs­sen­dun­gen wie „Zeit­fra­gen / Streit­fra­gen“ oder „Funk­haus­ge­spräche“ so­wie Fea­tures und Hör­spie­le.

Die Wir­kun­gen die­ser Pro­gramm­po­li­tik sind ka­tas­tro­phal. Ein Kul­tur­pro­gramm ver­armt und nicht ein­mal das Ar­gu­ment, man kön­ne mit we­ni­ger Qua­li­täts-Ein­schalt­ra­dio und mit mehr Be­gleit­mu­sik auch mehr Hörer ge­win­nen, stimmt. Im Ge­gen­teil: Die Hö­rer­zah­len sind wei­ter ge­sun­ken. Auch Sie kom­men des­halb an der Er­kennt­nis nicht vor­bei: Die all­mähli­che Zu­rich­tung ei­nes an­spruchs­vol­len Kul­tur­pro­gramms in ein leicht kon­su­mier­ba­res Häpp­chen­an­ge­bot („Kul­tur to go“) ist nicht nur schäd­lich, son­dern auch ge­schei­tert. Und die Fort­set­zung fal­schen Den­kens löst nicht die Pro­ble­me, die es schuf. Wir ver­trau­en des­halb da­rauf, dass Sie die neu­es­ten Ab­bau-Plä­ne für WDR 3 längst in den Pa­pier­korb ge­wor­fen ha­ben. Sie soll­ten es nur noch öf­fent­lich ma­chen. Und zwar so­fort. In­dem Sie zum Bei­spiel die fol­gen­den fünf Punk­te als Maß­stab ih­rer Pro­gramm­po­li­tik un­ter­strei­chen:

  1. Das Kul­tur­ra­dio muss dem Hö­rer zu­ge­wandt sein; es darf ihn nicht un­ter­for­dern oder ru­hig stel­len, es muss sein In­ter­es­se wecken und Zu­sam­menhän­ge wie un­ge­wöhn­li­che Pers­pek­ti­ven ver­mit­teln. Das Kul­tur­ra­dio füllt ei­nen um­fas­sen­den Kul­tur­be­griff mit Le­ben.

  2. Das Kul­tur­ra­dio muss da­bei den Ge­gen­stand sei­ner Be­richt­er­stat­tung und Re­flex­ion ernst neh­men und sich auf die Kom­ple­xi­tät der Ge­gen­stän­de ein­las­sen. Das er­for­dert kom­pe­ten­te Au­to­ren und Re­dak­teu­re, aber auch die Ver­tei­di­gung der ent­spre­chen­den Sen­de­plät­ze.

  3. Das Kul­tur­ra­dio muss An­stö­ße ge­ben. Es ver­mit­telt Kul­tur, pro­du­ziert Kul­tur und ist ein Teil der Kul­tur. Da­zu ge­hö­ren Kon­flikt, Streit, Bri­sanz. Es kann nicht nur Ser­vice bie­ten, denn Kunst, Li­te­ra­tur, The­ater, Mu­sik und Wis­sen­schaft sind mehr als nur Kon­sum­gü­ter. Re­zen­sion und Kri­tik be­glei­ten die kul­tu­rel­le Ent­wicklung und trei­ben sie vo­ran.

  4. Das Kul­tur­ra­dio ori­en­tiert über Pro­ble­me auch der Ge­gen­wart und Zu­kunft, zeigt Hand­lungs­mög­lich­kei­ten auf. Es ist ein Ge­gen­warts­me­dium. Die Be­schrän­kung der Po­li­tik auf stünd­li­che Nach­rich­ten ist un­zu­rei­chend.

  5. Das Kulturradio öffnet besondere Perspektiven auf die Politik: Das erfordert Sendeplätze für lokale und globale Berichterstattung, für Analyse und Kommentar. Deshalb unterhält der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein Korrespondentennetz. Er überlässt die politische Meinungsbildung nicht nationalen und internationalen Medienkonzernen.

Für WDR 3 bedeutet das,

  • die politischen Journale zu erhalten und auszubauen,

  • kulturelle Berichterstattung, Rezension und Kritik zu verstärken; durch die Förderung von Fachkompetenz und durch die Schaffung neuer Sendeplätze (statt weiterer Streichungen),

  • die Erhaltung und die Weiterentwicklung des als Feuilleton konzipierten Kulturmagazins „Resonanzen“ mit seinem besonderen Blick auf die Welt aus kultureller und politischer Perspektive (statt der Umwandlung in eine Wiederholungssendung),

  • das Literatur- und Musikfeature nicht zu streichen.

WDR 3 sollte vielmehr mit seinen Stärken punkten und wieder mehr Dokumentationen und Kulturproduktionen zu günstigeren Sendezeiten präsentieren – und dafür werben.

Mit solchen und ähnlichen Maßnahmen könnten Sie der leider berechtigten Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk entgegentreten, die von Verarmung, Verflachung oder gar der Verdummung der Programme spricht. Beweisen Sie das Gegenteil.

 

Köln, Februar 2012

 

Erstunterzeichner:

Lothar Fend, Journalist, Münster
Prof. Dr. Manfred Schneider, Germanist, Bochum
Frieder Reininghaus, Musikpublizist und Kulturkorrespondent, Köln
Günter Wallraff, Schriftsteller und Journalist, K&¨ln
Navid Kermani, Schriftsteller, Köln
Dr. Walter van Rossum, Publizist, Köln
Prof. Marie-Luise Angerer, Professorin für Medien- und Kulturwissenschaften, Köln
Matthias Greffrath, Schriftsteller und Journalist, Berlin
Prof. Dr. Hans-Joachim Lenger, Professor für Philosophie, Hamburg
Eberhard Rondholz, Autor, Berlin
Prof. Dr. Klaus Kreimeier, Publizist und Medienwissenschaftler, Berlin
Susanne Waltermann, Künstlerin, Köln
Walter Adler, Hörspielmacher, Köln
Wilfried Schmickler, Kabarettist, Köln
Ingrid und Dieter Süverkrüp, Liedermacher und Maler, Düsseldorf
Gabriele Seifert-Neuenhofer, Künstlerin, Köln
Curt Hondrich, Journalist und Autor, Leichlingen
Irene Schoor, Journalistin und Filmhistorikerin, Köln
Horst Schäfer, Publizist, Dozent Universität Duisburg-Essen, Köln
Volker Dittrich, Verleger, Berlin
Wolfgang Lieb, Herausgeber der Nachdenkseiten, Köln
Prof. Dr. Hektor Haarkötter, Medienwissenschaftler und Journalist, München & Köln
Christa Henn, Künstlerin, Köln
Helmut Sch&¨fer, Künstlerischer Leiter Theater an der Ruhr, Mülheim a.d. Ruhr
Thomas Palzer, Autor und Filmemacher, München
Ulrich Teiner, Journalist, Köln
Prof. Dr. Michael Stolleis, Rechtshistoriker und Jurist,
Günther Wessel, Journalist, Berlin
Jochen Schimmang, Schriftsteller, Oldenburg
Rupert Neudeck, Journalist und Vors. des Friedenskorps Grünhelme e.V., Troisdorf
Prof. Thomas Heise, Regisseur und Autor, Berlin
Olaf Möller, Kurator und Autor, Köln
Werner Duetsch, Dozent und Autor, Köln
Anne Linsel, Kulturjournalistin und Dokumentarfilmerin, Wuppertal
Prof. Dr. Katajun Amirpur, Professorin für Islamische Studien, Köln
Thomas Moser, Journalist, Berlin
Dr. Eva Weissweiler, Schriftstellerin, Köln
Rainer Wieczorek, Schriftsteller, Frankfurt
Christiane Büchner, Regisseurin, Köln
Bea Novy, Autorin, Köln
Markus Müller, Dipl.-Bibliothekar, Köln
Clair Lüdenbach, Journalistin, Frankfurt
Peter Finkelgruen, Korrespondent und Autor, Köln
Heinrich Pachl, Kabarettist und Filmemacher, Köln
Cornelia Staudacher, Berlin
Wolfgang Stenke, Autor, Evessen
Gerhardt Haag, Theaterleiter „Theater im Bauturm“, Köln
Ruppe Koselleck, Konzeptkünstler, Münster
Pfarrer Hans Mörtter, Lutherkirche, Köln
Dr. Erasmus Schöfer, Schriftsteller und Journalist, Köln
Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler und Autor, Köln
Hermann Schulz, Schriftsteller, Wuppertal
Mirjam Kosewitsch, Wolfenbüttel
Anja Middelberg, Malerin, Köln
Wiebke von Bernstorff, Kulturwissenschaftlerin, Hildesheim
Robert HP Platz, Köln, Komponist und Dirigent
Dr. Wolfgang Bittner, Schriftsteller, Köln
Lutz Dursthoff, Cheflektor Sachbuch Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Wolf Christian von Wedel-Parlow, Schriftsteller
Anna Dünnebier, Autorin, Köln
Gert v. Paczensky, Schriftsteller und Journalist, Köln
Prof. Dr. Günter Schulte, Philosoph, Köln
Dr. Hans Erler,  Wiehl-Marienhagen
Lutz Schulenburg, Verleger Edition Nautilus, Hamburg
Dorothee Joachim, bildende Künstlerin, Köln
Angela di Ciriaco-Sussdorff, Journalistin und Produzentin, Lohmar
Harald Schumann, Journalist, Berlin
Holger Bär-Blumenthal, Künstler, Wuppertal
Julia Wolff, Schauspielerin, Wuppertal
Hermann Spix, Autor, Neuss
Uwe Wesel, Jurist, Berlin
Dr. Helmut Kramer, Richter OLG Bs a.D.
Barbara Kramer, Rechtsanwältin
Dogan Akhanli, Schriftsteller, Köln
Ulla Lessmann, Journalistin und Schriftstellerin, Köln
Helmut Braun, Publizist und Herausgeber, Köln
Hans-Jürgen Schunk, freie Regie, Köln
Dr. Lale Akgün, Dipl.-Psychologin und Autorin, Köln
Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, Bremen
Helga Mathea, freie Regisseurin, Köln
Hannelore Hippe, Journalistin und Autorin, Köln
Karl Betz, ordentlicher Professor für Klavier an der Hochschule für Musik W&¨rzburg
Frieder Wagner, Journalist und Filmemacher, Köln
Dr. Susanne Schüssler, Verlegerin Verlag Klaus Wagenbach, Berlin
Mirjana Wittmann, Übersetzerin, Bonn
Klaus Wittmann, Übersetzer, Bonn
Stefan Siegert, Autor und Musiker (Klassik für Kinder), Hamburg
Teresa Ruiz Rosas, Schriftstellerin und literarische Übersetzerin, Köln
Sabine Hesse, Dipl. Pädagogin und Künstlerin, Köln
Tommy Düx, Sänger, Köln
Bettina Ohnesorge, Lehrerin, Köln
Beate Kiupel, Schauspielerin, Hamburg
Bernhard Pfletschinger, Autor, Bergisch Gladbach
Prof. Dr. Werner Klüppelholz, Musikpädagoge, Siegen
Dr. Thomas Weissweiler, Jazzmusiker und Wirtschaftssenior, Baden Württemberg
Brigitta Lindemann, Autorin, Darmstadt
Bettina Gaus, politische Korrespondentin der „tageszeitung“, Berlin
Klaus Liebe, Journalist, Köln
Fabian v. Freier, Regisseur, Köln
Claudia Kattanek, Regisseurin, Köln
Jochen Kaufmann, Redakteur i.R., Köln
Götz Leineweber, Dramaturg, Köln
Dr. Susanne Alge, Schriftstellerin und Literaturkritikerin, Berlin 
Hartwig Riemann, Rentner, Berlin
Melanie Mehring, Klavierlehrerin und Musikerin, Hamburg
Antje Dertinger, Autorin, Bonn
Prof. Dr. Marion Gerards, Professorin für Musik und Soziale Arbeit Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
György Dalos, Schriftsteller, Berlin
Dr. Richard David Precht, Philosoph und Publizist, Köln
Daniela Dahn, Schriftstellerin und Journalistin, Berlin
Anjara I. Bartz, Mitglied des Rundfunkrates des WDR (Programmausschuss), Opernsängerin, Ensemble-Sprecherin der Oper Bonn und stellvertr. Vors. der GDBA-NRW
Elke Heidenreich, Schriftstellerin, Köln

Liste mit allen Unterzeichnern

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